27. Mai 2017

C’est du brutal

Drei Genreparodien von Georges Lautner (Regie) und Michel Audiard (Dialoge)

1963 | »Les tontons flingueurs« (»Mein Onkel, der Gangster«)

»Non, mais t’as déjà vu ça?« Seit fünfzehn Jahren ist Fernand Naudin (Lino Ventura) raus aus dem krummen Geschäft, handelt er in der südfranzösischen Provinz mit Baumaschinen, als ihn der Ruf seines im Sterben liegenden Kumpanen Louis le Mexicain erreicht, der den alten Freund bittet, nicht nur seinen illegal wirtschaftenden Betrieb (Alkohol, Glücksspiel, Sex) zu übernehmen, sondern sich auch um die Erziehung seiner flott-halbwüchsigen Tochter zu kümmern, die von der ungesetzlichen Natur des väterlichen Business freilich nichts ahnt ... Frei nach einem Roman von Albert Simonin (der auch die Vorlage zum Klassiker »Touchez pas au grisbi« lieferte ): eine Noir-Travestie, die mit tödlicher Rohheit nicht geizt, ein Gangsterfilm, der jede Niedertracht als Scherz betrachtet, eine Familiengeschichte, in der kein Konflikt unterdrückt wird. Der beschwingt-geniale Aberwitz der »tontons flingueurs« (≈ Killer-Onkels) liegt zuallererst in Audiards Dialogen, dem rasanten Wechsel von absurden Tiraden und furztrockenen Repliken, dem kapriziösen Mix aus verballhornten philosophischen Sentenzen und kunstvoll überhöhtem Rotwelsch, auch in Lautners Fähigkeit, Genrekonventionen im selben Moment ironisch zu bedienen und entschlossen zu unterlaufen, last but not least im sichtbaren Vergnügen der Schauspieler (allen voran Bernard Blier als ewiger Prügelknabe), mit (un-)feierlichem Bier-(bzw. Schnaps-)ernst den allergrößten Quatsch darzubieten und dabei die eigenen Leinwandmythen durchaus würdevoll auf die Schippe zu nehmen.

1964 | »Les barbouzes« (»Mordrezepte der Barbouzes«)

Der internationale Waffenhändler Benar Shah stirbt à la Félix Faure in einem Pariser Bordell. Ohne Einhaltung der Trauerfrist bemühen sich Nachrichtendienstler diverser Nationen bei der hübschen jungen Witwe Amaranthe (Mireille Darc) um die explosive Hinterlassenschaft des Verblichenen: Patente für Massenvernichtungswaffen der Marken A, B, C und H. Natürlich hat in einem französischen Film der sympathisch-kantige »barbouze« Francis Lagneau (Lino Ventura), der so sprechende Aliasnamen trägt wie ›Petit Marquis‹ oder ›Belles Manières‹ oder ›Bazooka‹ oder ›La Praline‹, die Nase vorn – während der blutrünstig-wahrheitssuchende Deutsche (genannt ›le bon docteur‹), der ungestüm-ästhetische Sowjet (bekannt als ›Trinitrotoluène‹), der scholastisch-neutrale Schweizer Mystizist (Bernard Blier), der amerikanische Scheckbuch-Agent mit dem kleinkarierten Hütchen (Jess Hahn) und Dutzende von kampfschreienden Abziehbild-Chinesen das Nachsehen haben … Lautner und Audiard veräppeln mit sarkastischem Charme das zweitälteste Gewerbe der Welt, machen sich lustig über das brettharte Getue und den bigotten Nationalismus der verbissen konkurrierenden und doch denkbar ähnlich gestrickten (Kino-)Geheimagenten aller Provenienz, dieser sonderbaren Spezies, die sich durch eine »faszinierende Synthese von Gehirn und Muskeln« auszeichnet.

1966 | »Ne nous fâchons pas« (»Nimm’s leicht, nimm Dynamit)

Vor fünf Jahren hat ›Tonio‹ Beretto (Lino Ventura) die Knarre an den Nagel gehängt; nun nennt er sich Antoine, betreibt einen Bootsverleih mit angeschlossener Tauchschule an der Côte d’Azur, und nur eine gewisse (schlagkräftige) Unduldsamkeit im zwischenmenschlichen Bereich erinnert noch an seine unbürgerliche Vergangenheit – die so vergangen (natürlich) nicht ist: Alte Freunde tauchen auf, bitten Antoine um einen Gefallen, überlassen ihm als Dankeschön ein paar Außenstände, deren Eintreibung unversehens einen veritablen Krieg entfesselt. Als zäher Widersacher tritt dem Exganoven (und den treuen Freunden, die er glücklicherweise hat) ein eleganter britischer ›Colonel‹ entgegen, der (auf der Jagd nach Gold) mit seinem Gefolge von kaltblütig-musikalischen Mods die französische Mittelmeerküste unsicher macht. Vom einfachen Schußwechsel mit Handfeuerwaffen steigern Lautner und Audiard die zunehmend rachsüchtige Auseinandersetzung über wechselseitige Sprengstoffanschläge bis hin zum Raketenangriff. In sonnendurchfluteten (wenn auch häufig von Explosionswolken vernebelten) Breitwandbildern voller comichafter Gewaltdarstellungen karikieren die Filmemacher neben den Stereotypen des Gangsterfilms insbesondere die Exzesse der pilzköpfigen Popkultur: im Vergleich zu Gitarre und Motorroller erscheinen Revolver und Dynamit als geradezu altmodische Waffen.